Förderjahr 2018 / Project Call #13 / ProjektID: 3292 / Projekt: HEAT 2.0
von Teresa Schwaninger
Eine isolierte Betrachtung der einzelnen gesetzlichen Überwachungsbefugnisse oder von Teilaspekten deren technologischer Umsetzung gibt nicht ausreichend Aufschluss über die Gesamtsituation staatlicher Überwachung in Österreich – vielmehr sind die einzelnen Befugnisse und die dahinterstehenden technischen Möglichkeiten wie Zahnräder, die ineinander greifen, ihre Wirkweise wechselseitig potenzieren und somit die Stärke und Brisanz des Gesamtsystems ausmachen. Nur, wenn deren Zusammenspiel berücksichtigt wird, kann die staatliche „Überwachungsmaschine“ in Ihrem gesamten Ausmaß ausreichend beurteilt werden. So kann klargestellt werden, wie es um die Lage der Freiheitsrechte und um die Achtung der Privatsphäre in Österreich bestellt ist.
Neue Technik versus altes Recht
Ein Aspekt dieser Thematik ist ein Phänomen, das der sich rasant entwickelnde technologische Fortschritt mit sich bringt: für neue Ermittlungsmaßnahmen werden bereits bestehende Gesetze herangezogen. Dass das mitunter problematisch sein kann, ergibt sich daraus, dass damit eine Maßnahme auf Grundlage eines Gesetzes durchgeführt wird, ohne dass es die technologischen Möglichkeiten gab, als besagtes Gesetz erlassen wurde. Bei der Einführung von Überwachungsbefugnissen trifft die gesetzgebende Instanz jedoch – sofern sie sich gesetzestreu verhält – eine Einschätzung darüber, ob der Nutzen dieser Maßnahme im Verhältnis zu ihrer Eingriffsintensität steht. Vereinfacht gesagt wird folgende Frage gestellt: Überwiegt der Nutzen den (potentiellen) Schaden? Wenn bei Einführung des Gesetzes potentielle technische Möglichkeiten jedoch noch nicht bestanden haben, ist diese Frage neu zustellen, weil sie bei Einführung des Gesetzes gar nicht gestellt worden sein kann. In vielen Fällen wird die Antwort dann eine verneinende sein. Denn wenn komplexe Technologien und gigantische Datensets zur Anwendung kommen, ist die Situation eine völlig andere, als wenn ein Mensch im stillen Kämmerlein Daten abgleicht.
Gesichtserkennung ist nicht gleich Gesichtserkennung
Der Einsatz technischer Mittel kann Grundrechtseingriffe also massiv verstärken. Ein aktuelles Beispiel hierfür ist, dass, wie im April 2019 bekannt wurde, die österreichische Polizei plant, Software zur automatischen Gesichtserkennung einzusetzen. Diese Ermittlungsmaßnahme soll jedoch nicht aufgrund einer neuen, eigens dafür geschaffenen gesetzlichen Grundlage erfolgen, sondern sollen lediglich allgemeine, bereits bestehende sicherheitspolizeiliche Bestimmungen verwendet werden.
Solch eine automatische Gesichtserkennung berechnet anhand von Videomaterial Standbilder, die das Gesicht einer verdächtigen Person zeigen. Diese Bilder werden danach maschinell mit Bildern der polizeilichen erkennungsdienstlichen Datenbank abgeglichen. Man geht davon aus, dass dieses Abgleichdatenset ein bis fünf Millionen Datensätze umfasst. Ein automatischer Abgleich mit Millionen von Gesichtern ist eine völlig andere Dimension eines Grundrechtseingriffes, als wenn eine Datenauswertung durch einen Menschen erfolgt.
Zusammenfassend ist also zu konstatieren, dass Überwachungsgesetze, obgleich sie unverändert bleiben, laufend überprüft werden müssen – weil nicht nur Veränderungen der rechtlichen, sondern auch der technischen Rahmenbedingungen ausschlaggebend sind.